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Ich möchte damit beginnen, allen Organisatoren zu danken; denn ich weiß, dass es ziemlich schwierig war, uns alle zusammen zu bringen. Es ist eine große Leistung, und wie schon Mazin Qumsiyeh und Haidar Eid und auch Lubna Masarwa gestern gesagt haben, Ihr habt uns eine herrliche Gelegenheit gegeben, uns alle hier zu treffen, und wir sind sehr dankbar, Euch hier zu treffen und uns untereinander treffen zu können. Es ist leichter, uns hier und nicht in Palästina zu treffen, wo wir uns eigentlich treffen sollten, aber wegen der israelischen Unterdrückung ist es nicht möglich. Hoffentlich werden wir alle bald dort sein, und nicht hierher kommen müssen in diese kalten Berge von Stuttgart, um ein Zusammenwirken zu schaffen.
Und ich glaube, dass das der Sinn des Zionismus ist, dass er den Menschen nicht erlaubt, ein normales Leben zu führen, normale Freundschaften zu haben; sie müssen alle diese Mühsal ertragen, um einem ganz grundlegenden menschlichen Antrieb zu folgen, den des Lebens in der Gemeinschaft.
Wir leben in sehr eigenartigen Zeiten. Einerseits hätten wir, die Aktivisten, uns keine einfachere israelische Regierung wünschen können. Ich glaube, dass diese spezielle Regierung jede komplizierte Analyse über den Zionismus in Israel ziemlich überflüssig macht. Es ist sehr leicht, nicht nur die israelische Politik, aber auch die rassistische Ideologie dahinter zu erklären. Andererseits hat Israel in den letzten drei Jahren die erfolgreichste Wirtschaft im Westen. Es hat es weit besser gemacht als Deutschland, viel besser als alle anderen wirtschaftlichen Mächte im Westen, sein Banksystem ist sehr stabil, seine Währung ist eine der stärksten der Welt, und es leidet überhaupt nicht unter all den Missständen, die die westliche kapitalistische Wirtschaft in den letzten drei Jahren erlitten hat.
Das Resultat ist ein sehr verwirrendes Auseinanderklaffen zwischen dem, was die anständige westliche Durchschnittsbevölkerung über Israel denkt und die Weise, wie die Israelis, besonders die israelischen Juden über sich denken. Die letzteren glauben, dass sie in einer erfolgreichen Gesellschaft leben, sie glauben, dass der israelisch-arabische Konflikt zu Ende ist, dass das palästinensische Problem gelöst sei: „natürlich hat man ein Problem in Gaza, natürlich hat man ein Problem mit der Hezbollah im Libanon, aber das ist ein globales Problem, das ist kein spezifisch israelisches Problem, das ist ein Teil des so genannten “Krieges gegen den Terrorismus”.
Wir leben auch in eigenartigen Zeiten - Mazin Qumsiyeh hat gestern darüber sehr detailliert gesprochen, ich brauch das also nicht zu wiederholen - wir leben in einer Zeit, in der eine besondere und spezifisch israelische Politik stark kritisiert wird: Die Menschen demonstrieren gegen das Massaker in Gaza und gegen die Attacke der Flottille für Gaza , aber bislang wagt es keiner, die Ideologie anzugreifen, die hinter dieser Politik steht. Es gibt keine Demonstration gegen den Zionismus, weil das europäische Parlament eine Demonstration gegen den Zionismus als Antisemitismus ansehen würde.
Stellt euch vor, es wäre euch in den Tagen der südafrikanischen Apartheid verboten worden, gegen die Apartheid in Südafrika zu demonstrieren, sondern nur gegen das Massaker in Soweto... und das ist immer noch ein israelischer Erfolg. Und Deutschland spielt bei diesem Erfolg eine große Rolle. Das Hauptproblem und die Hauptursache dieser kriminellen Politik wird nicht analysiert, nicht diskutiert und nicht berührt, sondern nur die Symptome. Ich bin kein Arzt, ich bin kein Mediziner aber ich weiß, wenn man nur die Symptome behandelt und nicht die Ursache der Krankheit, kann man den Patienten nicht heilen.
Also glaube ich, das, was wir als Aktivisten wirklich brauchen - und es ist leichter mit euch darüber zu sprechen, als mit Leuten, die nichts über den Konflikt wissen oder ganz auf der anderen Seite stehen - dass wir das, was wir machen, ändern müssen. Nicht was die sehr erfolgreiche BDS Kampagne betrifft, oder die Art von Dingen, die man in Deutschland oder woanders in Solidarität mit dem palästinensischen Volk macht. Ich denke, dass das ein beeindruckendes Kapitel der Aktivität der europäischen Zivilgesellschaft ist, trotzdem beeindruckender … als der Kampf gegen die Apartheid. Aber viele von uns verwenden noch immer nicht die richtige Sprache, die wir anwenden sollten, um die Ereignisse, mit denen wir uns beschäftigen, in unsere Gesellschaft hinein zu bringen.
Weil einer der größten Widersprüche, indem was in Israel und Palästina passiert, einerseits keine komplizierte Geschichte ist. Wir hatten dies schon einmal: europäische Siedler kommen daher und massakrieren oder vertreiben die indigene Bevölkerung. Die Zionisten haben damit nichts Neues erfunden. Andrerseits, hat Israel mit der Hilfe seiner Verbündeten überall Erfolg gehabt, einschließlich in diesem Land. Diese Erklärung zu geben, ist so schwierig, dass nur die israelischen Juden es verstehen können. Und euch ist es nicht erlaubt, sich in diese Analyse einzumischen, speziell wenn ihr Deutsche seid ….
Sie ist aber gar nicht so kompliziert. Und deswegen ist es so wichtig, die Geschichte zu verstehen: die nicht so komplizierte Geschichte der zionistischen Bewegung, was sie war und was sie der einheimischen, indigenen Bevölkerung angetan hat und immer noch antut. Um diese Geschichte geht es eigentlich. Ja, es gibt andere Geschichten die da dranhängen, ich gebe es zu, das Schicksal der Juden in Europa, der Holocaust. Ich kenne die Geschichte der Beziehungen zwischen Christentum und Judentum in den letzten 2000 Jahren nicht, aber das sind Randvorkommen. Das ist nicht die Hauptgeschichte, sie gehören zu dieser Geschichte, aber sie beginnt nicht damit.
Deshalb wird in Israel, leider selbst palästinensischen Studenten, die israelische Bürger sind, wenn sie die Geschichte ihres eigenen Landes lernen, die Geschichte mit Odessa gelehrt. Ich erinnere mich an meine Studenten an der Universität, die mich fragten: "können Sie uns die wir in R. oder S oder im Negev geboren wurden, erklären, warum unsere Geschichte in Odessa beginnen?" Sie wussten nicht einmal, wo Odessa liegt. Und ich antwortete, es ist deswegen, weil Ihr unter Besatzung lebt, selbst innerhalb Israels, nicht nur im Westjordanland oder im Gazastreifen, Palästinenser in Israel sind auch unter Besatzung und auch unter Kolonisierung, und solange wir das nicht verstehen, können wir den toten Punkt nicht überwinden.
Denn das, was den so genannten Friedensprozess betrifft, der 1967 begann, spielt sich auf dem Mars oder auf dem Mond ab... Das ist der einzige Friedensprozess in der Geschichte, den ich kenne, der überhaupt nichts mit dem Problem, das er lösen sollte, zu tun hat. Worüber sie in Genf 1977, in Madrid 1991, in Oslo 1993, gesprochen haben, hatte nur sehr wenig mit dem Kern des Problems zu tun. Es ging nur um die Symptome, das gebe ich zu, aber nicht um den Kern.
Und das ist der zweitgrößte Erfolg Israels. Dass die öffentliche Meinung den Kern nicht nur nicht berührt, sondern auch der Friedensprozess ihm erfolgreich ausweicht. Also wenn man auf die Geschichte zurückkommt und man heute die richtige Sprache anwendet, dann ist man nicht anachronistisch, wie jemand heute morgen zu sagen versuchte, man ist nicht anachronistisch, man ist tatsächlich eine sehr bedeutungsvolle Person vom neuesten Stand. Ich erkläre warum.
Wenn man sagt, Zionismus ist Kolonialismus, ist man wie der junge Student auf dem neuesten Stand der Geschichte . Jeder der einwendet, das sei Anachronismus oder keine Hilfe, oder Antisemitismus, dann ist er anachronistisch und lebt auf dem Mond oder auf dem Mars, und kann weiterhin über etwas reden, was überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was vor Ort passiert.
Tatsächlich ist es so, wenn man hebräisch kann, dann weiß man, dass die ganze hebräische Sprache, von 1882 bis heute, die von der zionistischen Bewegung entwickelt wurde, und was sie in Palästina tut und beschreibt, ständig das Wort "hityachwut, hituachahut" anwendet; die einzige Möglichkeit der Übersetzung ist "KOLONISIEREN", es gibt keine andere Übersetzung.
Also fühlte sich die zionistische Bewegung im späten 19. Jahrhundert - als der Kolonialismus einen guten öffentlichen Ruf hatte - mit dem Wort kolonisieren wohl. Dann haben die Zionisten erfahren, dass Kolonialismus nicht mehr so gut ankommt, also übersetzten sie das Wort anders, sie fanden das Wort "sich niederlassen", was auf englisch etwas anderes bedeutet, und sie erklärten "ja, es ist kolonisieren aber nicht wie "kolonisieren" - das ist eine andere Art".
Wiederum ist es kompliziert und nur wir, die zionistischen israelischen Juden, verstehen, warum die israelische Kolonisierung etwas anderes als die weiße Kolonisierung in Südafrika ist. Aber wenn man kein israelischer Jude ist, kann man das nicht verstehen, und wenn man kein zionistischer israelischer Jude ist, kann man das natürlich erst recht nicht verstehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Sache wieder zurück in den Geschichtslehrplan unserer Schulen, an die Öffentlichkeit, in unsere Verhandlungen mit der politischen Elite in diesem Land und im Westen zu bringen und ihnen zu sagen "Ihr habt es hier mit dem letzten anhaltenden Kolonialunternehmen zu tun, und so eigenartig wie es klingt, selbst im 21. Jahrhundert, wendet dieses Kolonialunternehmen die gleichen Taktiken an, wie der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts.
Und ich glaube, dass jede ehrliche Person im Westen, wie in den Zeiten des Kolonialismus, nicht auf Seiten des Kolonialismus steht. Aber ihr müsst deutlicher werden, ihr müsst Euren Geist schärfen und ihr müsst daran denken, dass es irrelevant ist, was die Leute euch erwidern. Es hat keinen Belang, was sie sagen, sie sehen euch als Antisemiten, selbst wenn ihr die Zweistaatenlösung unterstützt, weil für sie die Zweistaatenlösung eine andere ist als für euch, denn ihr versteht das Problem nicht; ihr glaubt, dass die Zweistaatenlösung ein souveräner unabhängiger Staat vom Westjordanland und dem Gazastreifen ist, nein.
Der „Staat“ für die Palästinenser sind zwei Bantustans, im Westjordanland 12 kleine Inseln und ein wie ein Konzentrationslager abgesicherter Gazastreifen, die miteinander keine Verbindung haben, mit einer kleinen Stadtverwaltung in Ramallah, die Regierung genannt wird. Das ist der „Staat“, und wenn man dies nicht begreift, zeigt das, dass man die Kompliziertheit des Konfliktes noch erfahren muss.
Nun ist der Kolonialismus eine Botschaft aus der Vergangenheit, die wir übernehmen müssen und mit der wir uns auseinandersetzen sollen, und wir sollen Veteranen sowie jüngere Scharen von Aktivisten aufnehmen, um sie für etwas zu gewinnen, was universell sehr leicht zu verteidigen ist: gegen den Kolonialismus zu kämpfen, den Kampf gegen die Auffassung zu führen, dass jemand von außen das Recht hat, das Leben von Menschen drinnen zu zerstören. Und sie haben es 1882, 1948 und gestern im Negev oder im Westjordanland getan, und sie werden es nächste Woche tun, wenn wir mit den Friedensverhandlungen, der Zweistaatenlösung und allen möglichen ungültigen Konzepten, die nichts mit der Realität im Land zu tun haben, weitermachen.
Der zweite Punkt aus der Vergangenheit, den wir den Leuten unbedingt vermitteln sollten, ist, dass wir entweder versuchen, gegen das, was Israel heute tut, zu protestieren, oder im Januar zu gedenken, was Israel ( vor 2 Jahren) im Gazastreifen verbrochen hat, oder im Mai an das Verbrechen Israels von 1948, die ethnische Säuberung denken.
Es ist ein Konzept, das natürlich in den 1990er Jahren entwickelt wurde, genau im Hinblick auf das, was sich in den Balkankriegen abgespielt hat, aber selbst vorher wurde sie von der internationalen Gemeinschaft als eine unakzeptierbare Ideologie und Politik angesehen. Nur der Genozid wird von der Internationalen Gemeinschaft als noch schlimmer als die ethnische Säuberung betrachtet. Und ziemlich oft sind die beiden mit einander verknüpft, wie wir an anderen Orten feststellen können und wie z.B. in Israel und Palästina. Wenn es erlaubt ist, die Politik einer ethnischen Säuberung durchzuführen, dann braucht man nicht überrascht zu sein, dass diese Verbrecher eines Tages auch zum Genozid greifen. Weil sie in beiden Fällen die Menschen, um sie zu verjagen und zu massakrieren, entmenschlichen müssen, selbst die Kinder müssen entmenschlicht werden.
Und jeder, der wie ich in Israel lange genug gelebt hat, weiß, dass die Verdorbenheit der Menschen hauptsächlich durch den Militärdienst geschieht, mit der Doktrin der totalen Entmenschlichung der Palästinenser. Deswegen sieht der Soldat, wenn er ein Baby sieht, kein Baby, sondern nur einen potentiellen Feind. Die Strecke vom Baby, das man aus dem Haus wirft, bis zu seinem Töten ist nicht lang. Und ich glaube, dass die Botschaft der ethnischen Säuberung die Botschaft zur Kriminalisierung ist , nicht die der Politik des israelischen Staates, sondern der Kriminalisierung des Staates Israels selbst.
Wir müssen das machen, denn nur eine faschistische Einstellung zum Leben würde sagen, dass in jedem historischen Zustand ein Staat und ein Land dasselbe sind. Nein, es ist nicht dasselbe. Manchmal ist der Staat das Schlimmste, was einem Land passieren kann. Und das Schlimmste, was dem Land Palästina passieren konnte, ist der Staat Israel. Wenn wir für das Land Palästina einen Platz schaffen wollen, in dem alle Menschen als gleichberechtigt nebeneinander leben sollen, ( tatsächlich besser als in anderen Teilen des Nahen Ostens, selbst besser als in verschiedenen Teilen Europas,) müsste man den Staat dem Land opfern und es zurückbringen. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, und es geht nicht um die Frage des Existenzrechtes des Staates...
Wir sind Individuen, wir sind Aktivisten, wir haben die Macht, das Existenzrecht eines Staates herauszufordern, wir können Staaten nicht eliminieren (Israel hat die Macht, Staaten zu eliminieren, wir haben diese Macht nicht) was wir haben, ist die moralische Macht, den Leuten zu sagen, dass diese Art von Staat, den ihr geschaffen habt, und dass diese Art von Staat, den ihr aufrecht erhaltet, für das Land, in dem ihr existiert, zerstörerisch ist. Die Schaffung dieses Staates hat 1948 zur Vertreibung der Hälfte der einheimischen Bevölkerung von Palästina geführt. Zeigt mir irgend eine andere Situation in der Geschichte, wo die internationale Gemeinschaft unter dem Slogan von Frieden herkommt und sagt: "um dieses Land zu einem friedlichen Platz zu machen, muss ich die Hälfte der Menschen, die da leben, hinauswerfen".
Nur in Israel haben wir diesen eigenartigen historischen Moment, als die Vereinten Nationen den Willen der internationalen Gemeinschaft verkörperten, indem sie der Welt sagten, dass sie Israel erlauben die Hälfte des palästinensischen Volkes, im Namen des Friedens, hinauszuwerfen. Und wenn man einmal mit der Geschichte von Israel angefangen hat, und ein Rückzug ist sehr schwierig, müsst Ihr erklären, dass die Geschichte jetzt studiert werden muss, und zurück auf 1947-48 gehen und sagen, dass diese Teilung oder die Idee dieser Teilung unmoralisch ist. Es ist nicht einmal eine gute realpolitische Idee, aber natürlich konnte man das 1947 nicht wissen. Ich kann verstehen, dass ihr 1947-48 gesagt hättet "warten wir ab, wenn wir das Land zweiteilen, könnte das funktionieren". Wer hätte das gewusst?
Aber könnt ihr 60 Jahre später begründen, dass die Teilung dieses Babys, wenn ihr wollt, anders ist als jenes aus Salomos Gericht? Es ist nicht überraschend, ihr kennt das Gericht Salomos, nicht wahr? Ihr kennt die Geschichte von dem Baby und den zwei Müttern, die wahre Mutter wollte die Teilung des Babys nicht. Wir wissen, wer die richtige Mutter im Fall Israels und Palästinas ist, wir wissen, wer vermutlich immer gewillt ist, es zu teilen. Also glaube ich, dass die ganze Idee der ethnischen Säuberung mit der internationalen Unterstützung zu tun hat, nicht eine direkte Unterstützung. Aber die Übereinkunft und der Konsens der Vereinten Nationen und später der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, die sagen, der Frieden sei nur auf die Weise in Palästina möglich, wenn die Israelis genug Palästinenser vertreiben und über genug palästinensisches Land verfügen, um “den einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten” zu schaffen.
Sie haben das ganze gemeinsame Sprachverständnis, das wir im Westen in den späten 1940er und 1950er Jahren hatten, mit ihrem zionistischen Unternehmen verfälscht und verdorben. Schafft man so eine Demokratie, indem man die einheimische Bevölkerung vertreibt, damit sie eine jüdische Mehrheit schaffen können? Aber genau das glauben alle jungen Israelis. Sie lernen auf der politikwissenschaftlichen Fakultät, dass, um eine demokratische Gesellschaft zu schaffen, die Mehrheit entscheidet, was zu tun ist. Wer hat aber erstens das Recht zu bestimmen, wer die Mehrheit ist, ja selbst mit den Mitteln, die andere Seite auszulöschen, damit man über das Resultat der demokratischen Wahlen sicher ist.
Die Israelis finden das überhaupt nicht eigenartig, dass, wenn man einen demokratischen Staat bildet, man auch ethnische Säuberungen und Genozide ausführen kann, damit man die richtige Wählerschaft für die Wahlen der zukünftigen Demokratie hat. Aber viele Leute im Westen werden über Israel als einen demokratischen Staat sprechen, weil sie sagen würden, dass die Mehrheit wählt und bestimmt, was zu tun ist. Die Tatsache, dass die Mehrheit ständig durch ethnische Säuberung und Massaker von Menschen, durch Kolonisierung und durch die Einkerkerung in Ghettos wie Gaza, geschaffen werden muss, wird nie als Teil der israelischen Demokratie diskutiert.
Und ich glaube, wir sollten das in den Vordergrund rücken. Der einzige Ausweg, den Israel als demokratischer Staat, gemäß der zionistischen Ideologie hat, ist, als verbrecherischer Staat weiter zu bestehen. Es ist genau so, als wenn man Menschen in den schlimmsten Gefängnissen der schlimmsten Verbrecher ein demokratisches System mittels Gewalt von Waffen, der Gewalt von Brutalität, der Gewalt ihrer reinen Übermacht durchzusetzen erlaubt.
Nun der dritte Punkt, über den ich sprechen will, ist, was sich aus Kolonialismus und ethnischer Säuberung entwickelt hat - der wichtigste ideologische Antrieb hinter dem zionistischen Staat ist ethnische Säuberung und Kolonialismus - es ist der Grundstein des jüdischen Staates in Israel. Das ist natürlich nicht das, was uns gelehrt wird, weder den Israelis, die dort geboren wurden, noch den Menschen in der ganzen Welt, die Israel unterstützen; das wird uns nicht gesagt. Uns werden zwei verschiedene Ideologien gelehrt. Man lehrt uns die Notwendigkeit, einen sicheren Platz für die Juden zu finden, und wir wissen, dass das kein sicherer Platz für die Juden ist, es ist das Gegenteil (der einzig unsichere Ort für Juden ist Israel, es ist dort, wo Juden in großer Menge seit 1948 durch Kriege und Attentate gestorben sind.) Und es wäre auch der Ort, wo Juden sich als nationale Bewegung wieder selbst verwirklichen und wo sie ihr Recht auf Selbstbestimmung verlangen können.
Aber wir wissen, dass Israel nicht an der Selbstbestimmung der Juden interessiert ist, deswegen bringen sie Hunderte und Tausende Nichtjuden aus der ganzen Welt ins Land; denn was für Israel wichtig ist, ist nicht die Selbstbestimmung der Juden, sondern die Absicherung gegen einen arabischen Staat. Und wenn du ein Baha’i bist und du auf einen Berg im Himalaja lebst, aber sicher kein Araber bist, dann wirst du in kürzester Zeit israelisch jüdischer Bürger, vorausgesetzt du bist damit einverstanden. Da gibt es kein Problem. Die Rabbiner werden dich zu einem Juden machen, und sie werden Männer durch schmerzvolle Operationen begleiten - aber im Ganzen bist du herzlich willkommen, weil du kein Araber bist. Und wenn du ein arabischer Jude bist, musst du dich "ent-arabisieren", sonst bist du in der israelisch jüdischen Gesellschaft nicht willkommen.
Nun der dritte und letzte Punkt -( ich werde in einigen Minuten zum Ende kommen), ist die ethnische Reinheit. Die ethnische Reinheit des Staates hat mit dem Rückkehrrecht zu tun. Die meisten Menschen, und besonders einige unserer besten Freunde sind gegen das Rückkehrrecht, und ich meine es nicht ironisch, weil ich gerade ein Buch mit Noam Chomsky veröffentlicht habe, ich beziehe ihn mit ein; einige unserer besten Freunde sind gegen das Rückkehrrecht. Und ihre praktischen Erklärungen gehen darauf hinaus, dass es unrealistisch ist, den Flüchtlingen zu sagen, dass sie auf eine Möglichkeit der Rückkehr hoffen können, dass sie in ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft bestärkt werden sollen, und ich würde sagen, dass der Ausgangspunkt für diese Analyse keine Sachlichkeit, keinen realpolitischen Sinn beinhaltet. Weil ihre Basis für die Analyse, wie es Uri Avnery und Noam Chomsky tun, kompromisslos ist. Ich bin nicht zynisch, wenn ich sage, dass sie meine guten Freunde sind, aber ich bin in dieser Hinsicht vollkommen anderer Meinung. Wenn die Basis für die Analyse der Situation Realpolitik ist, dann heißt das, dass das Gewicht der Macht eure Haltung bestimmt.
Also, das Gewicht der Macht, (und wir hörten es gestern), zwischen der größten und stärksten Armee im Nahen Osten und den schwächsten militärischen Mächten in der Welt, wenn dieses Gewicht der Macht unsere Haltung bestimmt, sollten wir uns hier heute überhaupt nicht treffen. Wir sollten dem israelischen Diktat zustimmen. Wir wissen, dass die Israelis sehr deutlich sind, indem was sie wollen. Sie wollen so viel wie möglich von Palästina, mit so wenig Palästinensern wie möglich. Sie wollten es 1882 und sie wollen es 2010. Das hat sich nicht geändert. Die Mittel haben sich geändert, die historischen Verhältnisse haben sich geändert, aber die Vision war, eine blühende, erfolgreiche israelische Gesellschaft zu machen, eine Gesellschaft mit möglichst wenig Arabern und möglichst viel Land von Palästina - das hat sich nie geändert. Also wenn Realpolitik unsere Haltung bestimmt, sollten wir diese Vision übernehmen.
Also auf jeden Fall können wir diese Realpolitik nicht akzeptieren, wenn wir Israel mit seinen Wünschen entgegentreten. Und der Grund, warum die Israelis sogar die Anerkennung dieses Rückkehrrechtes, abgesehen von der praktischen Ausführung des Rückkehrrechtes, nicht akzeptieren, ist nicht, weil, wie manche glauben, sie ein großes Problem mit ihrem Schuldgefühl haben und zugeben müssten, dass sie 3 Jahre nach dem Holocaust viele Menschen massakriert und verjagt haben. Ich habe einmal geglaubt, dass das das Problem sei. Ich gebe zu, dass ich einmal so gedacht habe. Ich war hoffnungsvoll, weil ich ein Optimist bin….. So glaubte ich, dass die Israelis über das Rückkehrrecht nicht reden wollen, weil Menschen, wie Uri Avnery, zum Beispiel, die selbst an der ethnischen Säuberung beteiligt waren, sich sehr unglücklich darüber fühlten. Und wenn man über das Rückkehrrecht spricht, dann kommt die Erinnerung... eine Art von Wundermittel, die Abhilfe gegen die Krankheit.
Nein, ich glaube nicht, dass das damit zu tun hat, leider hat das für den zionistischen Standpunkt einen Sinn. Araber sind nicht willkommen. Ob das jetzt Araber sind, die wir verjagt haben, oder Araber, die wir nie angegriffen haben, oder arabische Juden, die unbedingt Araber bleiben wollen; selbst wenn sie Juden sind, sind sie nicht willkommen, weil wir eine Demokratie sein wollen! Und diese Leute wollen hineinkommen. Das ist die wichtigste Sache, warum die Israelis das Rückkehrrecht zurückweisen.
Also, wenn man die Palästinenser unterstützt - und damit will ich schließen - wenn man das Rückkehrrecht der Palästinenser unterstützt, dann unterstützt man nicht nur das Recht auf Rückkehr der Menschen, die verjagt wurden, falls sie zurück wollen. Man gesteht nicht nur das Verbrechen der ethnischen Säuberung von 1948 ein, man hängt nicht nur gesetzestreu an den UN Resolutionen, die klar das Rückkehrrecht ausdrücken, man sagt ganz einfach nein zum Rassismus. Das ist es, was man tut. Man sagt einfach NEIN zum einzigen rassistischen Staat im Nahen Osten.
Ich gebe zu, dass wir keine netten Regimes im Nahen Osten haben, die politischen Regimes im Nahen Osten sind nicht etwas, worüber man nach Hause berichten kann. Ich könnte sie nicht für zukünftige Gesellschaften empfehlen, die ihre politische Basis auf sie gründen wollen - aber keines der Regime ist rassistisch. Der einzige rassistische Staat im Nahen Osten ist der jüdische Staat von Israel. Der einzige Weg, ein Mittel gegen diesen rassistischen Staat einzusetzen, ist die Forderung des Rückkehrrechtes. Nicht weil es praktisch oder nicht praktisch ist, aber weil es mit dem genetischen Code des jüdischen Staates zu tun hat. Die Idee der Kolonisierung ist nicht neu, aber die Idee der Kolonisierung im 21. Jahrhundert aufrecht zu erhalten, indem man offen einen rassistischen Staat führt, muss abgelehnt werden, speziell in diesem Land. DANKE
Der Text dieses Vortrags wurde in englischer Sprache von Claudine Fähndrich aus den Video-Aufzeichnungen der Konferenz von Stuttgart (November 2010) hergestellt, und ins Deutsche von Frigga Karl übersetzt.
Ilan Pappe, israelischer Historiker, Professor für Geschichte an der University of Exeter (UK), arbeitet mit lokalen und internationalen Zeitschriften und hat viele Bücher geschrieben. Er ist Autor von: “The Making of the Arab-Israeli Conflict” (London and New York 1992), “The Israel/Palestine Question” (London and New York 1999), “La storia della Palestina moderna” (Einaudi 2004), “The Modern Middle East” (London and New York 2005) und “The Ethnic Cleansing of Palestine” (2006).